Die unbekleidete Strandnixe, die ihr Surfbrett gegen eine Megamuschel eingetauscht hat. Dann der Opa mit dem polierten Kessel auf dem Schädel, der so übellaunig guckt, weil er - meine Interpretation - im dunklen Kohlenkeller festsitzt. Nicht zu vergessen: Scarlett Johansson nach dem Haarewaschen mit Handtuchturban und Perlenohrring. Ach ja, auch noch alles von diesem Genie, das bei Porträts gerne vergisst, wo Augen und Nase sitzen sollten.
Kurzum: Was ein Kunstwerk ist, weiß jeder. Ist man sich doch mal unsicher (zwei kniffelige Fälle: „Diddl-Maus herzt Diddlina“ und „Hunde spielen Poker“), schaut man im Museum nach: Hängt’s, liegt’s oder steht’s da, ist’s Kunst! Doch ganz so einfach ist es nicht: Kopfschüttelnd bin ich bereits an Ausstellungsbesuchern vorbeigeschritten, die sich über mehrere Minuten vergeistigt mit dem Feuerlöscher in der Saalecke auseinandergesetzt haben. Oder die andächtig den Schattenlauf von Heizkörperrippen an der Museumswand studiert haben.
Wenn Sie mich fragen: Lächerliche Pseudo-Intellektuelle sind das, denen ihre Museumsgläubigkeit übelst ein Beinchen gestellt hat. Tipp von mir: Ein Plastikeimer samt Aufnehmer in einem Ausstellungsraum ist nicht zwingend eine Pop-Art-Skulptur. Sondern manchmal schlicht etwas, was die Reinigungskräfte dort vergessen haben.
Übrigens, moderne Kunst eröffnet sich dem Betrachter nur selten auf Anhieb und ohne Reibung. Auch ich kenne innere Widerstände, drei willkürlich auf die Leinwand gekleckste Gelbstriche als Kunst zu akzeptieren. Denn vielleicht hat’s ja ein Äffchen hingeschmiert, das außer „Banane!“ nur wenig im Kopf hat? Nein, um Kunst zu erkennen, muss man wirklich ganz genau hinschauen und sich als Betrachter mit einbringen. So wie ich es neulich getan habe, als mich ein mehr als mannshohes Werk im Museum Küppersmühle in seinen Bann gezogen hat.
Darauf abgebildet war, jedenfalls für das ungeübte Auge, erst einmal nichts. Strahlendes Weiß. „Das ist mal pfiffig!“, dachte ich anerkennend. Und nachdem ich schroffe, von einem starken Gestaltungswillen geführte Pinselstriche ausgemacht hatte, kam mein innerer Kunstkritiker so richtig auf Touren: Ist es der Zustand maximaler Kontemplation, der sich in minimaler Farbgebung spiegelt? Verbirgt sich hier womöglich doch Gegenständliches wie ein „Lepus timidus“ (Schneehase) im gleißenden Gegenlicht einer idealtypischen Winterlandschaft? Ist es eine Kritik am überhitzten Kunstmarkt? Ein Kommentar zum Klimawandel? Oder alles zusammen?
Als ich nach einer halben Stunde intensiver Beschäftigung mit dem Werk nach der Signatur suchte, sprach mich jemand von hinten an: „Wissen Sie, was das da ist?“, fragte der Museumsaufseher ausgerechnet mich - also genau den Richtigen! Gerade als ich tief Luft holen wollte, um dem armen Unwissenden meine Interpretationsthesen darzulegen, fügte er an: „Ich sag’s Ihnen: Sie stehen vor einer weiß lackierten Spanplatte, die unsere Handwerker als Sichtschutz montiert haben. Dahinter entsteht ein Wanddurchbruch.“
Der Text wurde dem Netzwerk Saarn freundlicherweise vom Autor Carsten Dilly überlassen.